Urteil des BayVGH vom 8.6.2010, Az.: 9 B 08.3162 wegen einer rechtswidrigen Baugenehmigung zu Gunsten des Nachbarn

1.Jan 2015 | Privates Baurecht, Recht

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Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Im Namen des Volkes

In der Verwaltungsstreitsache

– Kläger –

bevollmächtigt zu 1 und 2:
Rechtsanwälte Holzer und Kollegen, Weißenburger Str. 38, 63739 Aschaffenburg,

gegen

Freistaat Bayern,

– Beklagter –

beigeladen:

wegen

Nachbarklage/Überdachung Dachterrasse;

hier: Berufung der Kläger gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 25. Oktober 2005, erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 9. Senat, durch die Richterin am Verwaltungsgerichtshof K. als Vorsitzende, den Richter am Verwaltungsgerichtshof B., die Richterin am Verwaltungsgerichtshof E. ohne mündliche Verhandlung am 8. Juni 2010 folgendes Urteil:

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 25. Oktober 2005 wird geändert: Der Bescheid des Landratsamts Aschaffenburg vom 17. November 2004 in der Fassung des Ergänzungsbescheides vom 13. Mai 2005 wird aufgehoben.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren durch die Kläger war notwendig.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn die Kläger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

1 Die Kläger wenden sich als Eigentümer des Grundstücks FI.Nr. der Gemarkung H. gegen eine den Beigeladenen mit Bescheid des Landratsamts Aschaffenburg vom 17. November 2004 und Ergänzungsbescheid vom 13. Mai 2005 erteilte Baugenehmigung für die Errichtung einer Überdachung auf dem bereits als Terrasse genutzten Dach einer auf dem Baugrundstück (FI.Nr.) vorhandenen Doppelgarage. Das Baugrundstück hat eine unregelmäßige Form. Die Doppelgarage grenzt sowohl mit einer seitlichen als auch mit ihrer rückwärtigen Wand an das Grundstück der Kläger an. Für das Bauvorhaben wurde sowohl eine Abweichung von der erforderlichen Abstandsfläche zum Grundstück der Kläger zugelassen als auch eine Befreiung von der im Bebauungsplan „Nördlicher Ortsrand” der Gemeinde H. festgesetzten Baugrenze erteilt.

2 Die von den Klägern erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 25. Oktober 2005 abgewiesen. Nachbarrechte der Kläger seien nicht verletzt. Der Bebauungsplan enthalte hinsichtlich der genannten Grundstücke keine zeichnerischen Festsetzungen und treffe daher keine Regelung zur überbaubaren Grundstücksfläche. Eine Befreiung sei daher nicht erforderlich. Ein Verstoß gegen Abstandsflächenrecht liege ebenfalls nicht vor. Das genehmigte Vorhaben halte zwar unstreitig die erforderlichen Abstände nicht ein. Dies sei aber durch die Zulassung einer Abweichung kompensiert worden.

3 Mit der vom Senat zugelassenen Berufung verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie tragen im Wesentlichen vor, die Baugenehmigung sei rechtswidrig und verletze ihre Rechte. Sie verstoße gegen Abstandsflächenrecht. Die Abweichung sei ermessensfehlerhaft erteilt worden, weil die Bedeutung eines zwischen den Beteiligten im Jahr 1984 vor dem Verwaltungsgericht Würzburg geschlossenen Vergleichs verkannt worden sei. Außerdem sei die Beeinträchtigung des Wohnfriedens nicht richtig gewürdigt worden. Die Überdachung ermögliche den Beigeladenen eine weitergehende Nutzung der Terrasse im Rahmen ihres Beherbergungsbetriebes. Auch werde mit keinem Wort erwähnt, dass das Bauvorhaben sowohl den Abstand zur seitlichen als auch zur rückwärtigen Grenze ihres Grundstücks nicht einhalte.

4 Die Kläger beantragen,

5 die den Beigeladenen vom Landratsamt Aschaffenburg erteilte Baugenehmigung zur Errichtung einer Überdachung auf der Doppelgarage auf dem Grundstück B. in H. vom 17. November 2004 in der Fassung des Ergänzungsbescheides vom 13. Mai 2005 aufzuheben.

6 Der Beklagte beantragt,

7 die Berufung zurückzuweisen.

8 Er führt im Wesentlichen aus, der verwaltungsgerichtliche Vergleich stehe der streitgegenständlichen Baugenehmigung nicht entgegen. Ein wirksamer Verzicht auf öffentlich-rechtliche Nachbarrechte müsse hinreichend bestimmt, also in Zusammenhang mit einem konkreten Bauvorhaben abgegeben sein. Dies sei hier nicht der Fall. An keiner Stelle des Vergleichs sei von zukünftigen Bauvorhaben die Rede. Das streitgegenständliche Vorhaben verstoße nicht gegen Abstandsflächenrecht. Die Abweichung sei unter Berücksichtigung der Anforderungen des Abstandsflächenrechts und bei Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Eine unzumutbare Störung des Wohnfriedens sei nicht erkennbar. Zur rückwärtigen Grundstücksgrenze werde ein Abstand von 3,75 m eingehalten. Die maßgebliche Wandhöhe sei im „Schnitt bzw. Südostansicht” leider nicht vermaßt. Es sei lediglich die Traufhöhe mit 2,61 m angegeben. Unter Zuhilfenahme eines Lineals las-se sich aber feststellen, dass die maßgebliche Wandhöhe knapp unter 3 m liege. Das Nachbargelände der Kläger sei so dargestellt, als sei es auf gleicher Höhe wie das Garagendach der Beigeladenen. Selbst wenn man den für die Abstandsflächenberechnung maßgeblichen unteren Bezugspunkt um 0,75 m nach unten revidieren müsse, sei die erforderliche Abstandsfläche noch eingehalten.

9 Die Beigeladenen tragen vor, mit dem Vergleich vor dem Verwaltungsgericht sei keine abschließende Regelung über die Grenzbebauung getroffen worden. Der Vergleich enthalte insbesondere keinen Verzicht auf eine weitere Bebauung ihres Garagendaches. Vielmehr habe der damalige Kammervorsitzende mündlich zugesichert, dass sie das gleiche Recht wie die Kläger hätten und auf ihrer Garage auch ein Gebäude errichten dürften. Ihre Garage grenze auf der rückwärtigen nordöstlichen Grenze unterirdisch an die gemeinsame Grundstücksgrenze an, da das Gelände hinter der Garage nach Nordosten stark ansteige. Die Abstandsfläche werde daher nur an einer Seite, nämlich an der seitlichen Grenze zum Anwesen der Kläger unterschritten. Da an dieser Grenze auf dem Nachbargrundstück ein Gebäude vorhanden sei, könne dort angebaut werden. An der rückwärtigen Grenze sei eine 1,90 m hohe Sichtblende angebracht worden. Da keine oberirdische Außenwand vorhanden sei, könnten die Kläger hinsichtlich Belichtung und Besonnung nicht in ihren Rechten verletzt sein. Im Übrigen sei unmittelbar hinter der Sichtblende mit einer 3 m hohen Eibenhecke eine unzulässige Grenzbepflanzung vorhanden und an der um die Ecke anschließenden gemeinsamen Gartengrenze stehe eine ca. 10 m hohe Thuja-Hecke. Die Garage sei im Jahre 1974 errichtet worden. Früher habe sich dort eine genehmigte Scheune mit Satteldach befunden. Die Traufe des Daches habe damals bis zur rückwärtigen Grundstücksgrenze gereicht. Durch den Abriss der Scheune und den Bau der Garage sei eine deutliche Verbesserung der Belichtung und Besonnung des Nachbargrundstücks eingetreten. Ein übermäßiger Lärm gehe von ihrer Terrasse nicht aus.

10 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, insbesondere auf die Augenscheinsniederschrift, und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

11 Mit Einverständnis der Beteiligten kann über die Berufung ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO). Die anwaltschaftlich nicht vertretenen Beigeladenen konnten die entsprechende Erklärung rechtswirksam abgeben, da diese nicht gemäß § 67 Abs. 1 VwGO dem Anwaltszwang unterliegt (BVerwG vom 8.11.2005 Az. 10 B 45/5 m.w.N.}.

12 Die zulässige Berufung hat Erfolg.

13 Das Verwaltungsgericht hat die Nachbarklage der Kläger zu Unrecht abgewiesen. Der Baugenehmigungsbescheid des Landratsamts Aschaffenburg vom 17. November 2004 in der Fassung des Ergänzungsbescheides vom 13. Mai 2005 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO}.

14 Gegenstand der vorliegenden Baugenehmigung ist die Errichtung einer Überdachung auf einer auf dem Grundstück der Beigeladenen vorhandenen Doppelgarage, deren Dach bereits als Terrasse genutzt wird. Für die Prüfung, ob eine baurechtliche Genehmigung Rechte eines Nachbarn verletzt, ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung maßgebend. Eine nach diesem Zeitpunkt erfolgte Änderung der Sach- und/oder Rechtslage ist aber zu berücksichtigen, wenn sie sich zugunsten des Bauherrn auswirkt (vgl. BVerwG vom 23.4.1998 NVwZ 1998, 1179).

15 Das genehmigte Bauvorhaben ist ein Gebäude im Sinne des Art. 2 Abs. 2 BayBO. Danach sind Gebäude selbständig benutzbare, überdeckte bauliche Anlagen, die von Menschen betreten werden können. Für die Einordnung einer baulichen Anlage als Gebäude wird lediglich die Überdeckung, d.h. ein Abschluss nach oben gefordert, Umfassungswände sind nicht notwendiges Merkmal eines Gebäudes (vgl. Jade in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, BayBO, RdNr, 71 zu Art. 2). Die Errichtung der Überdachung ist genehmigungspflichtig i.S.d. Art. 62 BayBO 1998. Mit einem umbauten Raum von 84,21 m3 liegt insbesondere keine Ausnahme von der Genehmigungspflicht nach Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 a BayBO 1998 vor, wonach die Errichtung von Gebäuden ohne Feuerungsanlagen mit einem umbauten Raum bis zu 75 m3 keiner Genehmigung bedarf.

16 Die Baugenehmigung verstößt gegen im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 72 Abs. 1 Satz 1, Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 BayBO 1998 zu prüfende, auch dem Schutz der Kläger dienende Vorschriften. Da es sich bei dem Bauvorhaben der Beigeladenen weder um ein an der Grenze zulässiges Gebäude noch um ein abstandsflächenirrelevantes Vorhaben handelt (vgl. Art. 7 Abs. 4 BayBO 1998, Art. 6 Abs. 9 BayBO 2008), sind die vom Gesetz geforderten Abstandsflächen grundsätzlich einzuhalten. Gleichwohl gestattet die Baugenehmigung die Errichtung des Bauvorhabens unmittelbar an der gemeinsamen seitlichen Grundstücksgrenze und gemessen ab den die Überdachung tragenden Holzpfosten in einem Abstand von ca. 3,75 m von der gemeinsamen rückwärtigen Grundstücksgrenze. Die von der Bauaufsichtsbehörde nach Art. 70 Abs. 1 BayBO 1998 zugelassene Abweichung beschränkt sich auf die ansonsten einzuhaltende Abstandsfläche zur seitlichen Grundstücksgrenze. Ob diese Abweichung rechtmäßig erteilt wurde, kann aber offen bleiben, da sich die angefochtene Baugenehmigung aus anderen Gründen als rechtswidrig erweist und Rechte der Kläger verletzt. Sowohl der Planfertiger als auch der Beklagte sind davon ausgegangen, dass die zur rückwärtigen Grundstücksgrenze einzuhaltende Abstandsfläche gewahrt ist. Dem kann nicht gefolgt werden.

17 Grundlage für die Berechnung der einzuhaltenden Abstandsfläche ist die Wandhöhe, die senkrecht zur Wand gemessen wird (Art. 6 Abs. 3 Satz 1 BayBO 1998; Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO 2008). Bei fehlenden Umfassungswänden sind die raumabschließenden Wände zu fingieren (BayVGH vom 30.8.1984 Az. 2 B 83 A, 1265). Unterer Bezugspunkt für die Berechnung der Wandhöhe ist die Schnittlinie der Außenwand mit der Geländeoberfläche (Art. 6 Abs. 3 Satz 2 BayBO 1998; Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO 2008). Die hier maßgebliche Wandhöhe beschränkt sich daher nicht auf die Höhe der fingierten Außenwand der Überdachung. Da die Garage mit dem überdachten Teil der Dachterrasse als einheitliches Gebäude anzusehen ist, ist unterer Bezugspunkt für die Berechnung der Wandhöhe nicht das Garagendach. Die fingierte Wand der Überdachung ist vielmehr gedanklich bis zu ihrem Schnittpunkt mit der Geländeoberfläche zu verlängern (vgl. Dirnberger in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, BayBO, RdNr. 119 zu Art. 6). Gemeint ist dabei die Geländeroberfläche des Baugrundstücks und nicht des Nachbargrundstücks. Grundsätzlich ist von der natürlichen Geländeoberfläche auszugehen (vgl. Dirnberger a.a.O. RdNr. 121 zu Art. 6). Aufschüttungen und Abgrabungen verändern – auch wenn sie rechtmäßig im Zuge des Bauvorhabens vorgenommen werden – die natürliche Geländeoberfläche nicht. Allerdings kann nach Ablauf einer längeren Zeit (25 bis 30 Jahre) seit der Veränderung des Geländes eine neue natürliche Geländeoberfläche entstehen (vgl. BayVGH vom 14.1.1991 Az. 14 CS 90.3270; vom 28.11.1996 Az. 20 B 97.912; Dirnberger a.a.O. RdNr. 121 zu Art. 6 m.w.N.).

18 Wegen der mit der Errichtung der Doppelgarage im Jahre 1974 einhergehenden dauerhaften Veränderung des Geländes spricht hier vieles dafür, dass im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung bereits eine neue natürliche Geländeoberfläche entstanden war. Diese dürfte mit dem Boden der Doppelgarage identisch sein und etwa der durchgezogenen unteren Linie im Plan „Schnitt bzw. Südostansicht” entsprechen. Da das Dach eine Neigung von lediglich 25 Grad hat, wird die maßgebliche Wandhöhe allein durch die Höhe der fingierten Außenwand bestimmt (Art. 6 Abs. 3 Satz 4 BayBO 1998; Art. 6 Abs. 4 Satz 3 BayBO 2008). Sie beträgt damit ca. 5 m. Da die Tiefe der Abstandsfläche hier 1 H beträgt (Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO 1998; Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO 2008) beläuft sich diese ebenfalls auf 5 m.

19 Die notwendige Tiefe der erforderlichen Abstandsfläche ist auch nicht im Hinblick auf das 16 m-Privileg des Art. 6 Abs. 5 BayBO 1998 (Art. 6 Abs. 6 BayBO 2008) auf die Hälfte der nach Absatz 4 erforderlichen Tiefe reduziert. Nach der genannten Vorschrift genügt vor zwei Außenwänden von nicht mehr als je 16 m Länge als Tiefe der Abstandsfläche die Hälfte der nach Art. 6 Abs. 4 BayBO erforderlichen Tiefe, mindestens jedoch 3 m. Nachdem die Doppelgarage sowohl mit ihrer seitlichen als auch mit ihrer rückwärtigen Außenwand an die Grundstücksgrenze gebaut ist und sie mit der überdachten Terrasse ein einheitliches Gebäude bildet, kommt die Vorschrift nicht zur Anwendung (Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO 1998; Art. 6 Abs. 6 Satz 2 BayBO 2008). Im Übrigen setzt die Inanspruchnahme des 16 m-Privilegs voraus, dass es vor den übrigen Außenwänden bei der nach Art. 6 Abs. 4 bzw. Abs. 5 BayBO erforderlichen vollen Abstandsflächentiefe bleibt (vgl. BayVGH – Großer Senat – BayVBI 2000, 562). Auch diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Denn die zum Wohnhaus der Beigeladenen gerichtete Außenwand der überdachten Doppelgarage hält auch die zu dieser Seite hin erforderliche Abstandsfläche nicht ein; vielmehr überdecken sich die Abstandsflächen beider Gebäude, was nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO 1998 (Art. 6 Abs. 3 BayBO 2008) nicht zulässig ist. Ein Fall des Art. 7 Abs. 3 BayBO 1998, der bei gegenüberliegenden Gebäuden die Möglichkeit der Reduzierung der Abstandsflächentiefe bis auf eine halbe Wandhöhe vorsieht und der Anwendung des 16 m-Privilegs möglicherweise nicht entgegensteht (so jedenfalls BayVGH vom 11.6.2002 Az. 26 CS 02.714), liegt nicht vor, da eine entsprechende Abweichung nicht erteilt wurde und es sich bei der Doppelgarage mit überdachter Terrasse auch nicht um ein eingeschossiges Gebäude im Sinne der genannten Vorschrift handelt.

20 Abstandsflächen müssen grundsätzlich auf dem Grundstück selbst liegen (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO). Da die Holzpfosten, die die Überdachung tragen, lediglich ca. 3,75 m von der rückwärtigen Grundstücksgrenze entfernt sind, wird die erforderliche Abstandsflächentiefe von 5 m nicht eingehalten. Die Vorschriften des Abstandsflächenrechts sind nachbarschützend. Der Nachbar kann sich erfolgreich gegen jede Baugenehmigung wenden, die – ohne eine entsprechende Abweichung zu erteilen – gegenüber seiner Grundstücksgrenze eine geringere Abstandsfläche als die gesetzlich erforderliche zulässt. Eine spürbare tatsächliche Beeinträchtigung des Nachbarn ist nicht erforderlich.

21 Die angefochtene Baugenehmigung ist aber auch dann aufzuheben, wenn man zur Berechnung der einzuhaltenden Abstandsflächentiefe auf die ursprüngliche natürliche Geländeoberfläche abstellt. Denn in diesem Fall erlaubt die erteilte Baugenehmigung keine Aussage darüber, ob das Bauvorhaben die erforderliche Abstandsfläche zur rückwärtigen gemeinsamen Grundstückgrenze einhält. Da in den zur Genehmigung gestellten Bauvorlagen keine Abstandsflächen dargestellt sind, muss sich die zur Berechnung der Wandhöhe maßgebliche Geländeoberfläche zumindest anhand der Bauzeichnungen hinreichend genau ermitteln lassen, ansonsten kann die zulässige Wandhöhe nicht geprüft werden (vgl. OVG NRW vom 4.2,2004 BRS 67 Nr. 141). Zwar hat der Nachbar keinen materiellen Anspruch darauf, dass der Bauantragsteller einwandfreie Bauvorlagen einreicht. Die Baugenehmigung ist aber aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Um-fang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BayVGH vom 20.6.2008 Az. 15 CS 08.1088 m.w.N.}. Hier ist die ursprüngliche natürliche Geländeoberfläche in den Bauvorlagen nicht eingezeichnet. Eine Festlegung der Höhenlage der baulichen Anlagen nach Art. 10 Abs. 2 Satz 1 BayBO 1998, die sich in der vorliegenden Situation angeboten hätte, ist ebenfalls nicht erfolgt. Im Plan „Schnitt bzw. Südostansicht” sind lediglich die Lage der Straße und der Geländeverlauf an der rückwärtigen Grenze dargestellt, ohne die genannten Bezugspunkte zeichnerisch miteinander zu verbinden. Nachdem das Baugrundstück nach Nordosten hin ansteigt, entspricht die ursprüngliche natürliche Geländeoberfläche an der für die Berechnung der Wandhöhe maßgeblichen Stelle weder dem Niveau der dargestellten Straße noch dem des klägerischen Nachbargrundstücks an der gemeinsamen rückwärtigen Grundstücksgrenze. Die Doppelgarage wurde in eine Hanglage hineingebaut. Die ursprünglich vorhandene Steigung ergibt sich weder aus den Bauvorlagen, noch lässt sie sich ohne weiteres ermitteln. Eine exakte Berechnung der Wandhöhe ist daher nicht möglich. Damit lässt sich auch nicht zweifelsfrei feststellen, dass die Wandhöhe den zur rückwärtigen Grundstücksgrenze vorhandenen Abstand von 3,75 m nicht übersteigt. Eine Verletzung von Nachbarrechten kann deshalb nicht ausgeschlossen werden.

22 Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Nachdem die Beigeladenen in beiden Rechtszügen keine Anträge gestellt haben, konnten ihnen Kosten nicht auferlegt werden (§ 154 Abs. 3 VwGO). Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war für notwendig zu erklären. Es ist zwar kein Widerspruchsbescheid ergangen, die Bevollmächtigten der Kläger haben aber fristgerecht Widerspruch eingelegt und diesen auch ausführlich begründet (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO), Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.

23 Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 132 VwGO) liegen nicht vor.

Rechtsmittelbelehrung

24 Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfach an schritt: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung schriftlich einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

25 Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an einer deutschen Hochschule im Sinn des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u.a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.

26 Richter K. B. E.

27 Beschluss:

28 Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 7.500 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 1, § 47 GKG).

Dieses Berufungsurteil des Bayersichen Verwaltungsgerichtshofs wurde von den Rechtsanwälten Markus Holzer und Nadja Goldmann erstritten.

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